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Reinhard Sieglin

reinhardsieglin@web.de

Unternehmensberatung von Unten: Ethnographie als Vermittlung von Sichtweisen und Potentialen der Belegschaft nach Oben - ein Erfahrungsbericht.

Unkorrigierte Fassung

Der Auftrag

Im Dezember 1996 unterschrieb ich folgenden Vertrag:

"Herr Sieglin untersucht die sozialen Beziehungen zwischen Management und Belegschaft, sowie innerhalb der Belegschaft. Schwerpunkt ist die Produktion mit angegliederten Abteilungen. Das Ergebnis wird in einem Bericht zusammengefasst, aus dem hervorgeht, welche Maßnahmen zur Verbesserung von Betriebsklima und Produktivität vorgeschlagen werden."

Im Anhang wurde noch der Umfang (30 bis 40 Arbeitstage innerhalb des nächsten Quartals) und mein Preis geregelt. Unterschrift: Geschäftsführer.

Dieser Vorgang ist nicht ungewöhnlich, sieht man von der recht vagen Auftragsformulierung ab.

Ungewöhnlich ist aber das Zustandekommen dieses Vertrags:

Ausgangspunkt ist ein stark expandierender mittelständischer Betrieb zur Herstellung von Fertigprodukten aus frischen Lebensmitteln mit gut 300 Beschäftigten. In diesen hatte sich ein neuer Geschäftsführer beim bisherigen Alleineigentümer eingekauft. Dieser Neue hat nach 1 Jahr den Eindruck, dass im Betrieb sehr vieles schlecht läuft. Der zuständige Gewerkschaftssekretär, mit dem er über die Notwendigkeit von mehr Mitarbeiterorientierung einig ist, kann ihn davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, zusammen mit dem Betriebsrat einen "Betriebsklimaspezialisten" zu engagieren Dieser soll die Ursachen für das schlechte Klima herausfinden.

Betriebsklimaspezialisten gibt es sehr wenig - ein interessanter Fakt am Rande, denn die Zahl schlechter Betriebsklimata nimmt beständig zu. Meine Qualifikation ergab sich aus meinem langjährigen Hauptberuf, der Durchführung von Betriebsratsseminaren mit Spezialgebieten: Belegschaftskultur, Betriebsklima und betrieblicher Konfliktprophylaxe und meinem kürzlich abgeschlossenen Studium der Empirischen Kulturwissenschaften. Zudem sprach für mich, dass ich auch das Vertrauen des Betriebsrats hatte, dem ich mich ebenso wie dem Geschäftsführer vorgestellt hatte.

Die Durchführung des Auftrags war weniger ungewöhnlich, quasi normal. Diese "Normalität" könnte aber vielleicht für Sozialwissenschaftler mit Ambitionen auf ein Engagment in Betrieben von Interesse sein.

 

Kurzer Überblick über den Ablauf des Projekts:

Woche 1-4 7 Experteninterviews mit verschiedenen Managerebenen. f 1-1,5 Std

8 Experteninterviews mit BetriebsrätInnen f 1,5-2 Std

3 Informations- und Koordinationssitzungen mit dem

Forschungsprojekt pro X f 1-1,5 Std

Woche 5 4 Tage Arbeit in 3 Bereichen der Produktion

Woche 6 Erarbeitung des Fragebogens, der zugleich auch

Leitfaden für die Gruppengespräche sein sollte. Probegespräch.

Woche 7-12 19 Gruppengespräche mit 95 ArbeiterInnen während der

Arbeitszeit anhand eines auszufüllenden Fragebogens. f 1,5-2 Std

Woche 14 Präsentation des Endberichts

Ergebnis der Untersuchung

Ich will hier das Ergebnis der Untersuchung vorwegnehmen, damit der folgende Text besser verstanden werden kann

  1. Die vor einem Jahr eingeführte Prämie stieß fast durchweg auf Ablehnung: Ihre Systematik sei undurchschaubar und ungerecht. Sie bringe kaum Geld aber viel Streit.
  2. Es wurden sehr viele körperliche und psychische Belastungsfaktoren benannt. Viele davon wurden als unnötig bezeichnet. Es wurden viele Lösungsvorschläge gemacht.
  3. Die flexibilisierte Arbeitszeit wurde verschieden wahrgenommen. Eine Minderheit, vor allem von Frauen gelang es offensichtlich, Arbeitszeiten auszuhandeln, die zu ihren Bedürfnissen passten und war zufrieden. Die Mehrheit sah in der Praxis der Flexibilisierung vor allem eine Ansammlung kurzfristiger und willkürlicher Übergriffe, die keinen Raum für private Planungen lassen. Oder andersherum: Die Flexibilisierung wurde als ein zu einseitiges Tauschgeschäft interpretiert: "Die Firma fordert nur und gibt nichts dafür" bzw. viel zu wenig - materiell und immateriell.
  4. Die (Führungs-)Qualifikation der Vorarbeiter wurde durchweg infrage gestellt - auch von den Betroffenen selbst.
  5. Auch die Widerstände gegen die geforderte Arbeitsplatzflexibilität wurden überwiegend mit Qualifikationsdefiziten begündet.

  6. Die Unternehmensphilosophie war der einen Hälfte nicht bekannt, die andere Hälfte sah sie von der Hierarchie nicht praktiziert.
  7. Die Kantinenmisere, vom Management als Hauptunzufriedenheitsherd prognostiziert, wurde nur beiläufig und völlig resigniert thematisiert.

Resumee: Der Grund für diese Resignation verweist auf das wichtigste Ergebnis: Die wesentlichen Teile der Belegschaft, vor allem die Dienstälteren, haben kaum noch Vertrauen in das Management (am ehesten noch in den neuen GF). Sie haben die Erfahrung, dass auf konstruktive Kritik immer nur leere Versprechungen folgen, die meisten glauben kaum noch an positive Veränderungen.

"Wäre die Firma besser zu ihren Leuten, könnten sie das doppelte verdienen"(Eine Kollegin)

Weil so viele Ansätze für Verbesserungen in den Gruppengesprächen geäußert wurden schrieb ich sie alle in den Anhang zu meinem Bericht und machte folgenden Vorschlag: Um Vertrauen der KollegInnen überhaupt erst zu gewinnen und das Potential in der Belegschaft zu nutzen, sollte die Firma vor Ort Arbeitsgruppen aus Beschäftigten bilden und zumindest einen Teil der Vorschläge zeitnah umsetzen. Statt der geplanten Bestrafung kranker KollegInnen durch eine Lotterie schlug ich Gesundheitszirkel mit Arbeitnehmerbeteiligung zur Erforschung und Beseitigung von arbeitsplatzbedingten Krankheitsursachen vor.

 

Interessenkonstellationen

Ein Betrieb ist Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen sehr unterschiedlichen Interessenlagen. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Interessen, sondern auch um Status und Macht.

Ein externer Akteur sollte in der Lage sein, neben dem Idealfall einer gelingenden Kooperation, auch mit folgenden Möglichkeiten umzugehen:

  1. Der Absicht verschiedener Parteien, ihn für ihre Interessen zu instrumentalisieren.
  2. Der Desinformation
  3. Der Verweigerung von Kooperation und/oder Information.
  4. Der versteckten oder offenen Bekämpfung seiner Arbeit.

Diese These ist nicht neu. Sie soll hier dazu dienen, die Ereignisse der ersten Wochen zu gliedern.

 

1. Neuer Geschäftsführer

Der neue Geschäftsführer will starke Expansion am Markt. Dazu braucht es immer neue Produkte und optimierte Arbeitsabläufe. Da das Produkt täglich unter wechselnden Bedingungen (Qualität des Ausgangsprodukts, Bestellungen), hohen hygienischen Qualitätsanforderungen und immer kurzfristig hergestellt werden muss, braucht er auch motivierte und flexible Mitarbeiter. Will die Firma erfolgreich sein, müssen sie mitdenken, kurzfristig die Arbeitsplätze wechseln können und wollen und auch zeitlich flexibel sein, da verschiedene Risikofaktoren im Spiel sind.

Er ist weit weg von der Produktion (ca. 200 KollegInnen mit Versand), viel unterwegs, hat aber mitbekommen, dass das Klima in der Produktion sehr schlecht ist, was auch an mangelnder Termineinhaltung und Qualitätsreklamationen abzulesen ist.

Also verpflichtet er den Betriebsklimaspezialisten mit folgendem mündlichen Auftrag:

1. Rausfinden, wie die Stimmung an der Basis konkret ist und was die Ursachen sind.

2. Rausfinden, ob die Firmenphilosophie bekannt ist und angewandt wird. Diese Philosophie wurde in den letzten 2 Jahren stark gepowert. Ihr Kern: ‘Wachstum und Ertrag durch Qualität und Kundenzufriedenheit. Jeder Mitarbeiter ist wichtig’.

3. Engagment und Identifikation am Arbeitsplatz.

4. Sind die Arbeitsabläufe optimal? - "Oder sind da Betonköpfe dazwischen"? Dieses Stichwort bringt ihn zu seinem zentralen Anliegen: "Das mittlere Managment wirkt wie ein Filter, der vieles nicht nach oben durchkommen lässt".

Also ist klar: Primär soll ich zur Informationsbeschaffung über Stimmung und Motivation der Belegschaft eingesetzt werden. Indirekt wendet sich mein Einsatz gegen das ‘Filtersystem’, das für die schlechten Zustände verantwortlich gemacht wird und das er nicht im Griff hat.

Das strategisch Ziele ist natürlich Gewinnsteigerung über mehr Mitarbeitermotivation.

2. Der alte Geschäftsführer und frühere Alleinbesitzer hält sich weitgehendst aus allem raus. Er beschränkt sich darauf, seine Gewinnerwartungen zu definieren und erwartet, dass alles schön geputzt ist, wenn er durch den Betrieb läuft.

3. Das mittlere Management.

Das mittlere und untere Managment steht im Zentrum der Kritik von oben und unten. Von der zentralen Person, dem Abteilungsleiter, sagen seine Untergebenen, dass er keine Kritik zulässt und schnell mit Schikanen und disziplinarischen Maßnahmen zur Hand ist. Viele haben Angst vor ihm.

Schon seit 4 Jahren ist eine Unternehmensberaterin in der Firma, die sich vor allem mit dem mittleren Management beschäftigt. Es gab z.B. 2 zweitägige workshops, bei denen das persönliche Wohlbefinden und der Umgang miteinander thematisiert wurden.

Mit den ProduktionsarbeiteInnen war sie noch nicht in Berührung gekommen. Die Betriebsratsvorsitzende:"Sie ist hochnäsig. Ich bin Arbeiterin und so sprech ich. Aber sie spricht eine andere Sprache".

Diese Unternehmensberaterin saß außerdem in einem, vom Wissenschaftsministerium geförderten betrieblichen Projekt "Pro X" zur "Entwicklung der Mitarbeiter, Identifikation mit dem Unternehmen, Erreichung von Qualität und mitarbeitergerechter Arbeitsplatzgestaltung". Es sollte in diesen Bereichen konkrete Maßnahmen durchführen.

Der Geschäftsführer wollte, dass ich die Steuergruppe diese Projekts von meinem Vorgehen informiere und mich mit ihm koordiniere. In dieser Steuergruppe saß obengenannte. Unternehmensberaterin und die 3 für die Produktion verantwortlichen Manager.

In der ersten gemeinsamen Sitzung stellte ich meine Vorstellungen über die Vorgehensweise und meine Methoden vor. Danach wurde sie sofort deutlich:

"Das ist das alles sehr unglücklich. Jetzt sind wir mit ihnen konfrontiert. (...) Für ihre Aufgabe ist eigentlich Prof. XY da und qualifiziert, der mit unserem Projekt zusammenarbeitet. Jetzt haben wir sie vor die Nase gesetzt bekommen" (dieser Professor saß auch am Tisch).

"Ihr Vorgehen ist unklar und unstrukturiert. (...) Sie müssen sich mit uns abstimmen, sonst gibt’s Probleme; das muss ich so klar sagen"...

So viel Offenheit und Klarheit hatte ich nicht erwartet. Offensichtlich sah sie ihre Pfründe gefährdet, obwohl mein Vorhaben nirgends direkt ihre Arbeit tangierte, wie sich auf meine Nachfrage herausstellte.

Es gab aber auch gemäßigtere Passagen. Bei insgesamt 3 "Kooperations"-Sitzungen ( die ich nur deshalb mitmachte, weil ich die ohnehin verunsicherten Middle-Manager nicht verprellen wollte) gab es zu meiner Arbeit folgende Argumentationslinien:

"In der Firma XY hat ein Unternehmensberater mit ihren Methoden eine Untersuchung über das Betriebsklima gemacht. Sein Ergebnis war: ‘Das Betriebsklima ist schlecht.’ Sonst nichts! Und das für viel Geld!"

  • "Es droht die Gefahr von Überschneidungen mit unserer Projektarbeit. (...)

Bevor in der Steuergruppe darüber beschlossen wurde, dürfen sie überhaupt nichts tun."

  • Sie übernehmen sich quantitativ und qualitativ. Wollen sie nicht die Beratung von Prof. XY einholen ?" Wenig später wollte sie mir verbieten, Unterstützung meiner Wahl (auf eigene Rechnung) zu engagieren: "Ich will hier niemand mehr sehen!"

  • "Ich will ihnen Tips geben. Damit es für die Mitarbeiter in eine Richtung geht und keine Irritationen gibt".

  • "Bei Herr Sieglin wird sich ein Riesen-Wissen und Macht ansammeln."

  • "Es besteht die Gefahr, dass bei diesen (qualitativen) Methoden die Ergebnisse überhaupt nicht repräsentativ oder gar gefiltert sind...Sie müssen (bei den Experten- und bei den Gruppengesprächen) alles aufschreiben und danach verlesen, weil die Leute erfahrungsgemäß sich nachher distanzieren oder anzweifeln".
  • "Ziel ist es, dass der einzelne Interviewpartner sowohl nachvollziehen kann, welche Teile seine Äußerungen übernommen wurden und er sicher sein kann, dass sie in seinem Sinn verstanden wurden. Wir halten dies für erforderlich, um die Aussagen des Endberichts nachvollziehen zu können und den Vorwurf der Filterung zu umgehen. Herr Sieglin wird methodische Vorschläge unterbreiten, wie er diese Thematik bei Einzel- und Gruppengesprächen lösen wird." (Zitiert aus einem, von ihr angefertigten Sitzungsprotokoll, das ich allerdings offiziel nie erhalten habe.)

Anfangs hatten sich die anderen Mitglieder der Steuergruppe ziemlich zurückgehalten. Als ich in der 3. Sitzung die Konzeption für die Gruppengespräche vorstellte mischten auch sie sich mehr ein:

  • Die Frage nach der Qualifikation der Vorgesetzten sei überflüssig, da das Pro X Qualifikationsmaßnahmen für einige Mitarbeiter plane und das Thema deshalb "abgedeckt" sei.

  • Die Frage, ob die Akkordprämie gerecht sei dürfe nicht gestellt werden, da sie Hoffnungen machen würde. Die Prämie sei aber nicht mehr in Frage zu stellen. Nach verschiedenen Überarbeitungen sei sie jetzt "objektiv". (Diese Prämie stellte sich als eines der größten Probleme heraus. Bei der späteren Befragung in der betreffenden Abteilung war eine von 49 KollegInnen der Ansicht, die Prämie sei gerecht.)

  • Der Abteilungsleiter wollte bei der Auswertung die einzelnen Linien (Arbeitsgruppen) ausgewiesen haben, weil sie so unterschiedlich seien. Diese Forderung hätte die Anonymität faktisch aufgehoben, da an jeder Linie nur ca. 6 Leute arbeiten. Über diesen Abteilungsleiter wurde später in allen Gruppengesprächen geäußert, dass Kritik an ihm meistens negative Konsequenzen, bis hin zur Kündigungsdrohung habe.

  • Den Schlusspunkt setzte die Unternehmenberaterin: Der Geschäftsführer habe gesagt, sie könne bei den Gruppengesprächen dabei sein. Dazu kam es aber nicht. Obwohl er kaum im Haus, geschweige denn zu greifen war, gelang es mir zu vereinbaren, dass ich nur noch den Personalchef von meinen Vorhaben unterrichten musste.

Die Vorstellung, dass ich unkontrolliert und offen mit den Beschäftigten selbst sprechen würde,.drückte spürbar auf das Gemüt der Steuergruppen-Mitglieder. Offensichtlich erwarteten auch sie kein besonders gutes Ergebnis für sich. Das könnte man auch aus folgender Äußerung der Unternehmensberaterin schliessen: An mich gerichtet und leicht überheblich: "Es könnte sein, dass sie als zehnter hier Vorschläge machen".

Nachdem klar war, dass sie meine Arbeit nicht mehr verhindern konnten, eine Unterordnung meinerseits sich nicht abzeichnete und der Versuch, meine Methoden ad absurdum zu führen auch nicht zum Erfolg geführt hatte, versuchten sie, meine Wahrnehmung und meine Vorgehensweise zu beeinflussen. Auch die Expertengespräche wurden dazu genutzt (3 der Steuergruppen-Manager waren die wichtigsten Experten von Oben):

In den Expertengesprächen wird einerseits von dem hohen Arbeitseinsatz der Mitarbeiter gesprochen. Andererseits werden zwar Schwachstellen benannt. Die Ursachen werden aber ganz überwiegend im persönlichen Bereich der KollegInnen gesucht:

  • Die vielen verschiedenen Ausländergruppen.
  • Streitereien unter den KollegInnen.
  • Die unterschiedlichen und schlechten Umgangsformen.
  • Mangelnde Qualifikationen und Deutschkenntnisse und
  • Zu hohe Erwartungen an das Leben in Deutschland.

Einig war man sich auch, dass vor allem der "unwürdige" bauliche Zustand der Sozialräume, insbesondere der Kantine das Betriebsklima negativ beeinflusse. Schuld an diesem Zustand ist (zum Glück) der Geiz des alten Geschäftsführers.

Je konkreter die Themen im Fortgang der Experteninterviews wurden, umso substantiierter und interessanter die Antworten. Dies liegt sicher zum einen daran, dass konkrete Fragestellungen weniger geignet sind für strategisch vorkonzipierte Antworten. Zum anderen sollte man auch nicht unterschätzen, wie groß der Leidensdruck gerade der mittleren und unteren Führungsebene zwischen den straffen Vorgaben von oben und den Umsetzungsschwierigkeiten nach unten ist.

Es gibt noch die Möglichkeit, auf die Ergebnisse der Untersuchung direkt im Feld Einfluss zu nehmen.

  • Beim Thema Abteilungsleiter wurde von einzelnen Interviewten folgende Verbindung hergestellt: "Früher war es schlimm. Er hat nur mit 2 bis 3 Leuten geredet, und war unfreundlich. Seit ein paar Wochen ist es besser. Das hat wahrscheinlich was mit diesen Gesprächen hier zu tun. Wenn Sie ( R.S.) nicht mehr da sind, vielleicht ist er dann wieder anders."

  • Kollegen vom Band wiesen mich auf einen anderen Versuch der Einflussnahme hin. Am ersten Tag meiner Arbeit in der Produktion waren in meiner Umgebung 8 Männer beschäftigt in einer Funktion, die normalerweise von 6, am Vortag aber wie schon oft von 3 Kollegen gemacht werden musste.

  • Direkt vor den Gruppengesprächen gab es noch eine Intervention, von der ich mir nicht sicher bin, wie sie gemeint war. Der oberste Produktionsmanager kündigte am schwarzen Brett offiziell mich und meine Arbeit folgendermaßen an: "Die Geschäftsführung hat Herrn Sieglin - von Beruf Unternehmensberater - als externen Berater beauftragt..." (der Rest war korrekt). Abgesehen davon, dass der Betriebsrat als Mitauftraggeber fehlte, hätte die - nie vorher gefallene - Bezeichnung als Unternehmensberater ziemlich große Probleme hervorrufen können. Hat sie aber nicht. (Vielleicht hat neben meinem Zugang etwas anderes dazu beigetragen: Ich habe in diesem Betrieb gelernt, dass Unten Unternehmensberater mit Anzug und Krawatte, und selbige Utensilien natürlich mit Oben assoziiert werden.)

4. Die unteren Vorgesetzten / Vorarbeiter

Sie fallen in dieser Firma als Machtfaktor aus. Sie sind eher Opfer einer verfehlten Personalentwicklung und äußern das auch selbst in den Interviews.

5. Die "Mitarbeiter"

Die verschiedenen Belegschaftsgruppen haben natürlich wenig Machtmittel gegenüber Externen. Aber sie haben eine wichtige Wahl, die für die Externen zum Problem werden kann: Kooperation/Information auf der einen Seite, Desinformation oder Boykott auf der anderen Seite. (Für viele Unternehmensberater stellt das aber gar kein Problem dar, weil sie gar nicht auf das Wissen der Belegschaft setzen.)

Entscheidend für viele KollegInnen ist neben der Beurteilung des Fragers natürlich das Thema der Anonymitätsgarantie und der Konsequenzen der Befragung.

Ich war überrascht, wie viele und wie kritische Äußerungen gemacht wurden. Ein Faktor dafür mag das große Ausmaß der Misstände in dieser Firma sein. Ein anderer die Sicherheit, dass diese Kritik von vielen KollegInnen geteilt wird.

6. Betriebsrat

Das Gremium unterstützte meine Arbeit, in der vagen Hoffnung, dass seitens der Firma (bzw. von ganz oben her) einige der vielen Misstände behoben würden. Auch der BR sah im mittleren Managment die Ursache der meisten Probleme.

Obwohl formell der BR einer meiner 2 Auftraggeber war, spielte er, bis auf die von mir erbetenen 8 Experteninterviews nur eine sehr untergeordnete Rolle beim Kampf der Interessen während der Forschung. Die Vorsitzende des Gremiums war zwar formal Mitglied der Steuergruppe, jedoch nur bei einer Sitzung anwesend und hielt sich weitestgehend aus den Auseinandersetzungen heraus.

Die Mitglieder des Gremiums sind zwar sehr basisnah, das Gremium jedoch wenig durchsetzungsfähig nach oben. Wegen der Basisnähe waren die Expertengespräche und der Zugang zur Belegschaft über die BetriebsrätInnen eine wichtige Hilfe für mich.

7. Gewerkschaft

Die Gewerkschaft einte mit der Geschäftsführung eine Niederlage und ein Erkenntnisinteresse. Per Tarifvertrag war ½ Jahr vorher eine flexible Arbeitszeit eingeführt worden. Durch die Einführung eines Jahresarbeitszeitkontos und die dadurch entfallenden Überstundenbezahlung kam es zum offenen Aufstand eines Teils der Belegschaft. Somit musste es beide Seiten interessieren, wieso dieser Tropfen das Fass zum überlaufen gebracht hatte.

 

Selbstverständnis und Außendarstellung

Wer sich in diesen Interessenfeldern bewegen will tut gut daran, sich selbst darin zu verorten. Mein Selbstverständnis beruht auf zwei Annahmen. 1. Dass das wertvollste Wissen über Schwachpunkte und Lösungsmöglichkeiten bei den Betroffenen liegt. 2. Dass es einen direkten Zusammenhang von Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität gibt, so dass Belegschaft und Firma aus dieser Strategie einen Nutzen ziehen können.

Maßnahmen für mehr Mitarbeiterzufriedenheit sind jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie nicht nur als Mittel zum Zweck der Produktivität konzipiert sind, sondern die Mitarbeiter mit ihren Bedürfnissen eine selbsttändige Größe neben der betriebswirtschaftlichen Logik sind.

Meine Argumente für eine Zusammenarbeit gegenüber allen Beteiligten der Untersuchung waren:

  • Die Chance, dass ich als Betriebsklimaexperte und Außenstehender, der die Sichtweisen aller Beteiligten aufnehmen will, die besten Voraussetzungen mitbringe um Schwachpunkte, die zu Mitarbeiter-Unzufriedenheit führen herauszufinden.
  • Die Chance, dass durch meine Arbeit Kritik und Verbesserungsvorschläge der "Basis" zukünftig mehr Gehör finden und einen höheren Stellenwert bekommen.
  • Die Chance, dass für alle Beteiligten, dass sich aus den Ergebnissen der Untersuchung konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungen in den Bereichen Mitarbeiterzufriedenheit / Motivation / Produktivität ergeben.

 

Methoden

These:

 

1. Experteninterviews

Die ersten Experteninterviews machte ich mit dem Geschäftsführer und den 2 Betriebsratsvorsitzenden als meinen Zugangsinstanzen. Nach ihrer übereinstimmenden Meinung waren die mittleren Manager die einzigen, die Grund gehabt hätten, meiner Arbeit negativ gegenüberzustehen.

Aus diesem Grund machte ich demonstrativ zuerst alle Expertengespräche mit den Managern und erst danach diejenigen mit den BetriebsrätInnen. Diese vertrauensbildende Maßnahme trug vielleicht dazu bei, dass sich letztlich alle kooperativ zeigten.

Eklatant war für mich, wie weit entfernt die Wahrnehmungen dieser Manager von denen "ihrer" Arbeiterinnen bezüglich des Themas ‘Soll und Haben der Firma bezüglich der Mitarbeiterzufriedenheit’ waren. Auf der Habenseite verbuchten sie an erster Stelle die Weihnachtsfeier und die sicheren und technisch gut ausgestatteten Arbeitsplätze. Die Lösung eventueller Probleme sollten vor allem bessere Umgangsformen und eine schönere Kantine bringen. So können Expertenmeinungen zum Problem zum Teil des Problems werden.

Normalerweise erfolgt der Betriebszugang von Oben. (Die einzig mögliche Ausnahme, der Status eines (bezahlten) Sachverständigen des Betriebsrats, findet in der Praxis kaum statt.)

Es besteht deshalb die Gefahr, dass nur die, von der Hierarchie als formal zuständig benannten Organisationsmitglieder und im weitestgehenden Fall noch der oder die Betriebsratsvorsitzende als Experten begriffen werden. In der Praxis ist dieses Expertentum jedoch oft wirklich nur formal. Es ist die besondere Chance der Ethnografie, im Fortgang des Forschungsprozesses die wirklichen Experten zu finden.

 

Qualitative und quantitative Untersuchungsmethoden

1. Durchführung der Gruppengespräche

Alle Gespräche fanden während der Arbeitszeit in einem Besprechungsraum statt.

Um die Gesprächsbereitschaft zu erhöhen, versuchte ich weitgehend mit Erfolg, homogene Gruppen ausfindig zu machen. Informelle Experten unterstützten mich dabei. Unter homogen verstehe ich hier: Gruppen, die normalerweise zusammenarbeiten, ohne Vorgesetzte.

Zu Beginn stellte ich 2 offene Fragen über Gutes und Schlechtes bei Vita und schrieb die Antworten auf flip-chart.

Anschließend wurde ein Fragebogen den jede/r bekam, als Gesprächsleitfaden benutzt. Er umfasste 50 Fragen zu 10 Themenbereichen.

Ich las eine Frage zunächst vor und versuchte, Verständnisfragen zu klären. Nur ca. 20% der TeilnehmerInnen hatten Deutsch als Muttersprache, aber nur 5 konnten fast gar kein deutsch. Sie hatten aber Dolmetscher-KollegInnen dabei.

Nachdem jede/r eine Antwort angekreutzt hatte, redeten wir danach gemeinsam über die jeweilige Frage und die Meinungen dazu.

Ich fragte gegebenenfalls nach und versuchte, das wesentliche für mich mitzuschreiben.

So wurde Punkt für Punkt durchgegangen.

Ein Tonband benutzte aus unterschiedlichen Gründen nicht:

  • Ein Tonband stellt zusätzliche Ungleichheit her: Vorsprung durch Technik.
  • Eine Stimme auf Tonband dokumentiert nicht nur den Inhalt, sondern auch die Person. Basis für eine vertrauensvolle Athmosphäre ist aber die Anonymitätsgarantie für die Beteiligten. Diese hat einen ganz besonderen Stellenwert, wenn Angst vor Vorgesetzten herrscht, Vorgesetzte sich zur Kontrolle verstecken und zudem das Gerücht umgeht, die Telefone in der Firma würden abgehört.
  • Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei lebhaft redenden, größeren Gruppen entscheidende Aussagen auf dem Band oft nicht zu verstehen sind.
  • Das Mitschreiben ist zwar anstrengend, hat aber auch einen Vorteil: Es bringt mehr Ruhe und Möglichkeiten zum Nachdenken in das Gespräch.
  • Mitschreiben dokumentiert direkt wahrnehmbar für die Beteiligten die Wichtigkeit ihrer Aussagen. Diese Erfahrung ist für viele neu und wirkt vertrauensbildend.

Warum Fragebogen beim Gruppengespräch?

  • Ich finde es schwierig, die Gewichtung von Thematiken bezüglich ihres Gewichts in der Belegschschaft und bezüglich ihrer Bedeutung zu anderen Themen nur qualitativ vorzunehmen.
  • Der Alltag in Wirtschaftsunternehmen wird regelmäßig vom Umgang mit quantifizierbaren Größen bestimmt. Dies erzeugt auch entsprechende Erwartungshaltungen an qualitative Untersuchungen.
  • Quantitative Zusatzinformationen können ein zusätzlicher Schutz vor dem Verdacht von Manipulation und Subjektivismus sein

Eine zusätzliche Fragebogenauswertung kann bei diesen Problematiken hilfreich sein.

Entscheidend für die Aussagekraft der Untersuchung waren aber die Stärken der qualitativen Methoden:

 

  • Laufend vorkommende Missverständnisse (auch aufgrund eines Fragebogens) werden im Gespräch oft erst offensichtlich und ebenso wie unverständliche Widersprüche somit auch klärbar.

Beispiel:

  • Obwohl der Fragebogen klar gegliedert war, kamen oft Äußerungen zu einem Thema bei einem ganz anderen, späteren Punkt. Das deutet darauf hin, dass viele Menschen nicht so strukturiert und diszipliniert denken und kommunizieren, dass sie sich in der Systematik eines Fragebogens wiederfinden.
  • Eigene Vorstellungen und Verbesserungsvorschläge werden am ehesten in der Kommunikation über ein Thema entwickelt
  • Die Gesprächsgruppe kann zwar gegebenenfalls auch Druck erzeugen. Dagegen steht aber die Chance, sich gegenseitig Sicherheit und Anregungen zu geben.
  • Nur in der Interaktion mit den Feldakteuren ist eine Reflektion des Zugangs zum Forschungsfeld und seiner Auswirkungen auf das Ergebnis möglich.

Beispiele hierzu folgen noch!


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